Herr Bandelow, warum haben so viele Menschen Angst vor der Corona-Impfung und ihren möglichen Nebenwirkungen, obwohl sie doch gegen ein potenziell tödliches Virus schützt?
Immer wenn vermeintlich eine neue Gefahr droht, haben wir davor überproportional viel Angst. Das führt zu irrationalen Entscheidungen. Zu Beginn der Corona-Krise war es das Horten von Hefe und Toilettenpapier. Dann hatten viele Angst vor dem Biontech-Impfstoff, weil die mRNA-Technologie eine neue Entwicklung ist und die Leute sich eingeredet haben, ihr Erbgut würde verändert. Jetzt ist auf einmal Biontech der gute Impfstoff und Astra der, vor dem die Leute Angst haben. Auch bei Impfstoffen gilt eben: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.
Warum ticken wir so?
Es gibt im Gehirn zwei Zentren: das Angstgehirn und das Vernunftgehirn. Die muss man sich so vorstellen wie zwei Behörden eines Rathauses, die nicht immer gut zusammenarbeiten. Das Vernunftgehirn kann Zahlen und Fakten verstehen. Das Angstgehirn ist entwicklungsgeschichtlich ein primitives, altes System, das effektiv darin ist, vor Gefahren zu warnen, und deshalb in Krisensituationen unser Denken bestimmt. Aber es kann eben nicht mit Statistiken umgehen.
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Die Statistiken sagen, dass schwere Nebenwirkungen bei einer Impfung, auch beim Astra-Impfstoff, extrem selten sind. Wer sich nicht impfen lässt, ist also Opfer seines Angstgehirns?
Genau. Die meisten Leute, die jetzt Angst vor dem Astra-Impfstoff haben, wägen die Risiken völlig falsch ab. Von einer Million Coronainfizierter sterben etwa 20.000 an dem Virus, von einer Million Geimpfter bekommt lediglich eine Handvoll schwere Nebenwirkungen, wobei die EMA derzeit davon ausgeht, dass die Zahl thromboembolischer Ereignisse nicht höher ist als bei Nichtgeimpften. Allerdings will die EMA erst am 18. März ein endgültiges Statement abgeben. Aber schon jetzt ist klar: Man braucht noch nicht einmal den Dreisatz beherrschen, um zu erkennen, was wahrscheinlicher ist. Auch bei vielen Medikamenten gibt es eine kleine statistische Chance, schwere Nebenwirkungen zu kriegen und vielleicht sogar zu sterben. Das nehmen aber die meisten Leute in Kauf, weil man ja auch schwere Krankheiten damit behandelt. Diese Risikoabwägung, die wir täglich bei Medikamenten machen, läuft beim Astra-Impfstoff gerade komplett falsch.
Sie halten die Aussetzung der Astra-Impfungen wegen der möglichen Thrombosegefahr also für falsch?
Wenn die Thrombose bei Geimpften nicht häufiger auftritt als es ohnehin in der Bevölkerung zu erwarten ist, dann ist diese Entscheidung fatal. Leider sitzen auch in Ministerien und Behörden oft Leute, die sehr einfache Regeln der Statistik nicht verstehen, aber dann so eine Entscheidung treffen. Nur damit sie hinterher sagen können: Wir sind auf Nummer sicher gegangen. Wer sagt, er setzt die Impfungen lieber nochmal aus, bis Zweifel am Impfstoff beseitigt sind, hat in dem Moment genau diese Zweifel gesät.
Und die bleiben dann drin in den Köpfen, auch wenn sie später wieder ausgeräumt werden, und verringern die Impfbereitschaft?
Ja, man setzt ein fatales Zeichen, weil von diesen Zweifeln immer etwas hängen bleiben wird. Auch was die Wirksamkeit angeht, hat der Astra-Impfstoff bei vielen immer noch einen schlechten Ruf, obwohl man mittlerweile weiß, dass er auch bei Alten gut wirkt. Dazu kommt noch ein anderer Effekt: Wenn man zum Impfen geht, trifft man eine aktive Entscheidung und über die könnte man sich ja hinterher ärgern. Wenn man dagegen Corona kriegt, dann empfinden viele das als so was wie Schicksal, selbst wenn man es durch eine Impfung hätte verhindern können. Eine typische Unlogik unseres Angstgehirns.
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Wie kann man denn die Menschen überzeugen, auf ihr Vernunftgehirn zu hören und sich impfen zu lassen?
Das Vernunftgehirn der meisten Menschen hat das ja längst verstanden. Das Angstgehirn reagiert besser auf Bilder als auf Zahlen. Wenn ich eine 90-jährige Oma sehe, die sich impfen lässt und der passiert nichts, dann beeinflusst das das Angstgehirn mehr, als wenn sich ein Wissenschaftler hinstellt und Statistiken referiert. Wenn sich ältere Prominente öffentlich impfen lassen, würde das auch helfen.
Sind Sie selbst schon geimpft?
Ich bin für meine Mitarbeiter in der Klinik als Impfarzt tätig, habe sowohl Biontech als auch Astra verimpft. Vor einer Woche war ich dann selbst an der Reihe und wurde mit Astra geimpft. Ich habe leichtes Fieber bekommen, war einen Tag müde und antriebsarm. Aber ich wusste genau, was mit mir passiert und dann war das für mich auch nicht schlimm. Am dritten Tag nach der Impfung war alles vorbei.
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