Der Arzt und Apotheker Professor Harald Schmidt forscht und lehrt an der Universität Maastricht in Pharmakologie und personalisierter Medizin. Beim Kongress Heimversorgung KOMPAKT bei der INTERPHARM online 2022 referierte er darüber, woran unsere Medizin momentan krankt und wie die Systemmedizin – sein Fachgebiet – einen radikalen Umbruch bewirken kann.
Für Professor Harald Schmidt steckt die moderne Medizin in der Krise. Ein dringendes Umdenken sei vonnöten. Zwar stieg die Lebenserwartung im vergangenen Jahrhundert. Diese Leistung lässt sich aber hauptsächlich auf Hygiene, Impfstoffe und Antibiotika zurückführen. Die Lebenserwartung bezüglich anderer Erkrankungen hat sich über die vergangenen Jahrzehnte wenig verändert, chronische Erkrankungen nehmen eher zu.
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Im heutigen Gesundheitssystem gehen Patient:innen, die glauben, gesund zu sein, für eine Vorsorgeuntersuchung zur Ärztin oder zum Arzt. Wird dort etwa ein zu hoher Blutzucker oder Blutdruck gemessen, gilt der Mensch plötzlich als krank. Oft werden chronische Erkrankungen nach Symptomen benannt, während die Ursache völlig unklar ist. Klassisches Beispiel: primäre Hypertonie. Die Symptome werden jahrzehntelang therapiert, irgendwann werden Patient:innen pflegebedürftig. Auf allen Stufen wird viel Geld verdient. „Wir haben kein Gesundheits-, sondern ein Krankheitssystem“, sagt Schmidt.
Neue Arzneimittel müssen effektiver werden
Ein moderner Ansatz sieht für ihn anders aus. Forscher:innen der personalisierten Medizin und Systemmedizin ergründen, wie die uns bekannten Krankheiten zusammenhängen. So wollen sie erkennen, ob chronische Nieren-, Lungen- oder Herzerkrankungen eventuell ein und dieselbe genetische oder äußere Ursache haben können.
Noch werden neue Arzneimittel häufig zur Symptombehandlung entwickelt. Dabei sind viele Wirkstoffe in den Augen Schmidts zu ineffektiv. Die effektivsten Mittel unter den zehn umsatzstärksten Arzneimitteln weisen nach klinischen Studien eine Number needed to treat von vier auf. Das bedeutet, dass diese Arzneimittel mindestens drei von vier Patient:innen keinen Vorteil bringen.
Volkskrankheiten müssten weiter erforscht werden, wie heute die seltenen Erkrankungen. Bei seltenen Erkrankungen werden oft Symptome in mehreren Organen auf eine bestimmte, meist genetische Ursache zurückgeführt. Schmidt zitiert einen ehemaligen Forschungsleiter des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline, der gesagt haben soll: „Wenn wir anfangen würden, alle Erkrankungen zu verstehen, gäbe es nur noch seltene Erkrankungen.“ Erst, wenn die Forschung an diesem Punkt wäre, könnten Arzneimittel wirklich präzise wirken, messbar durch eine geringere Number needed to treat.
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