Keine letzten Wünsche für Todkranke: "Wenn man das alles nicht machen kann – das ist schon brutal"

Keine letzten Wünsche für Todkranke: "Wenn man das alles nicht machen kann – das ist schon brutal"

Die Coronakrise trifft uns alle. Es gibt beinahe keinen Lebensbereich, der nicht von Beschränkungen durchdrungen ist – egal ob Gesundheit, Industrie oder Kinderbetreuung.

Doch es sind nicht nur die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die unter der Krise leiden. Auch ehrenamtliche Vereine und ihre vielen Helferinnen und Helfer treffen die Corona-Maßnahmen hart.

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Einer dieser Vereine ist der Ambulance Service Nord e.V. aus dem niedersächsischen Engeln. Der Verein arbeitet seit 20 Jahren, bietet seine Dienste im Raum Verden und Diepholz sowie Umgebung an, darunter beispielsweise Erste-Hilfe-Kurse. Aber auch sogenannte „Sternfahrten“, mit denen der Verein todkranken Menschen ihre  letzten Wünsche erfüllt. 

Ehrenamtlicher Verein kann wegen Corona nicht mehr arbeiten

In speziell ausgerüsteten Krankenwagen werden sterbenskranke Menschen transportiert, um ihnen letzte Wünsche zu erfüllen. Das kann eine letzte Fahrt ans Meer oder zur Familie sein. Der stern hat im September vergangenen Jahres eine „Sternenfahrt“ zum Hamburger Fischmarkt begleitet. 

Sternenfahrten

Dieter ist sterbenskrank. Sein letzter Wunsch: Noch einmal den Fischmarkt sehen

Doch im Augenblick sind solche Fahrten und auch andere Leistungen und Aktivitäten des Ambulance Service Nord nicht möglich. Corona-Beschränkungen haben dem Verein die Hände gebunden. Auch die Spendenbereitschaft ist zurückgegangen. Der stern hat mit Frank Wenzlow, dem Mitgründer des ASN und Initiator der „Sternenfahrten“ gesprochen, was die Krise für Todkranke und für die Arbeit der Ehrenamtlichen bedeutet. 

Herr Wenzlow, wie arbeiten Ihr Verein und seine Mitglieder derzeit?

Im Moment so gut wie gar nicht. Wir agieren im Vorstand weiter, haben Projekte, um die wir uns kümmern. Aber wir dürfen keine Ausbildungen machen und auch keine Dienstabende abhalten. Alles ist derzeit auf Eis gelegt. Das Herz dieses Vereins, die gemeinsamen Stunden, fallen weg.

Sind die Sternenfahrten aktuell noch möglich?

Nein, leider nicht. Das verursacht uns wahnsinnige Kopfschmerzen. Wir kriegen jede Menge Anrufe von Menschen, die gerne eine machen würden. Die Wünsche bleiben weiter, es wird auch weiter gestorben – trotz Corona. Wir dürfen nichts machen. Das müssen wir den Menschen sagen. Das ist auch für uns schwierig. Wir wissen ja, was das bewirkt, wenn man einem todkranken Menschen einen solchen Wunsch erfüllen kann. Und wenn man das alles nicht machen kann, weil es eine Verordnung gibt, die das verbietet – das ist schon brutal.

Was genau sagen Sie denn den Anrufern, die den Wunsch nach einer Sternenfahrt haben?

Im Regelfall werden wir von den Hospizdiensten angerufen. Wir müssen denen dann klipp und klar sagen: Uns ist das verboten worden. Wir können die auch nicht vertrösten, denn das sind todkranke Menschen. Die in die Zukunft zu vertrösten, das geht nicht. Das ist aber nicht nur bei uns so. Der Hospizdienst selbst hat auch große Probleme. Sterbebegleitung und Besuche gehen nicht. Da bricht so viel soziales Engagement weg, was wir dringend nötig haben. Da sollte man sich in der Zukunft Gedanken machen, was man erlauben kann und was nicht. Denn Corona wird uns noch länger beschäftigen. 

Wann war die letzte Sternenfahrt und wie lief die ab?

Das war kurz bevor Corona hier losging. Die Fahrt haben wir ganz normal gemacht, es ging da an die See. Danach mussten wir eine Entscheidung treffen, wie wir weitermachen. Wir haben dann den Kreis gefragt, dann sollten wir uns am Bund orientieren, dann an wiederum an anderen. Später hieß es vom Gesundheitsamt, dass wir bis zum 30. Mai diese Fahrten nicht mehr durchführen könnten. Wobei man ja nie weiß, was sich morgen oder die nächsten Wochen tut.

Arbeiten Sie an einem Konzept, wie sie die Sternenfahrten während der Corona-Pandemie dennoch machen können?

Natürlich. Wir haben die Voraussetzungen schon geschaffen und wären theoretisch in der Lage. Wir haben Desinfektionsmittel, Mundschutz und sogar Schutzkleidung. Wir sind vorbereitet auf alles Mögliche.

Sie machen auch Erste-Hilfe-Kurse. Geht das momentan?

Im Moment gar nicht. Bis Ende Mai ist das verboten. Wir wissen auch nicht, wie und wann es danach weitergehen wird. Der Informationsfluss ist aber äußerst dürftig. Wir bekommen nur ad hoc Informationen. Fahrlehrer fangen ab dem 11. Mai wieder an, unter Auflagen zu unterrichten. Analog dazu könnten wir ja ebenfalls Unterricht machen. Aber es kommt keiner auf die Idee, uns zu informieren. Wir schreiben Anfragen an die Ämter und Behörden wegen Kursen und Sternfahrten. Die sind natürlich mit vielen anderen Dingen beschäftigt, aber wir fallen da hinten runter. Es betrifft aber nicht nur uns, sondern auch viele weitere Vereine. Und die Frage ist auch, wie es weitergeht mit den Fahrschülern, wenn alles öffnet. Die müssen auch Erste-Hilfe-Kurse machen. Das wird ein riesiger Rattenschwanz, den das nach sich zieht, das wird sich stauen. Wir haben aber Pläne gemacht, wie wir das angehen. Wahrscheinlich müssen wir dann auch sonntags arbeiten, sonst geht das nicht. 

Ihr Verein arbeitet ehrenamtlich und auf Spendenbasis. Wie sehen die Finanzen aus?

Angespannt. Es gibt einen deutlichen Spendenrückgang. Viele Veranstaltungen, wo Spenden und Werbung für uns möglich wären, sind weggefallen. Einige treue Menschen spenden aber weiter, damit unser Projekt überleben kann. Das hält uns über Wasser. Aber es ist spürbar, dass das fehlt. Wir haben aber Vorsorgemaßnahmen getroffen, dass wir ein paar Monate überleben können. Den Dienst müssen wir erst mal auch nicht einstellen, aber den Gürtel enger schnallen. Wir merken es deutlich, aber wir werden es überleben.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Wir haben ganz einfach den Wunsch, dass man sich bewusst macht, dass wir sterbenden Menschen Wünsche erfüllen und eben keine Krankentransporte durchführen. Wir haben nur ein geringes Risiko. Wir wollen gerne, dass wir solchen Menschen wieder die Sternenfahrten ermöglichen können, um die Menschen auf ihrem letzten Weg Wünsche zu erfüllen.

Wie ist Ihr Ausblick für die Zukunft?

Ich habe die große Hoffnung, dass wir eine Ausnahmegenehmigung bekommen werden. Das wäre vorrangig das Wichtigste, was wir uns wünschen und machen wollen. Wenn die Corona-Pandemie abebbt, würden wir uns gerne wieder nach Außen darstellen wollen, auf Veranstaltungen, um wieder Unterstützung bekommen. Die Begeisterung für unsere Arbeit ist nach wie vor da, auch die Unterstützung. Man hört leider wenig von uns, weil wir nicht agieren können. Wenn das bald geht, dann bin ich zuversichtlich, dass wir weitermachen können. Der Bedarf an Sternenfahrten ist ja da.

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