Resistent gegen Corona: Eine Abneigung gegen Brokkoli könnte Gutes verheißen

Resistent gegen Corona: Eine Abneigung gegen Brokkoli könnte Gutes verheißen

Es klingt verrückt: Eine neue Studie aus den USA lässt vermuten, dass die Art und Weise wie Menschen auf bitteren Geschmack – beispielsweise von Brokkoli – reagieren, mit der Intensität einer Covid-19-Infektion zusammenhängen kann.

In den Pandemie-Monaten wurde immer deutlicher wie unvorhersehbar Menschen auf das Coronavirus reagieren. Der Verlauf einer Erkrankung wurde unberechenbar. Es ist schier unmöglich vorherzusagen, ob eine Person mit milden Symptomen davonkommt oder ob die Infektion lebensbedrohlich werden wird. Ein simpler Geschmackstest zur Vorhersage wäre ein Gamechanger. Grundlagen dafür könnte die Studie aus den Vereinigten Staaten geliefert haben. 

Infektiologin Camilla Rothe


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„Superschmeckende” werden seltener positiv auf Corona getestet

Henry Barham ist Rhinologe am Baton Rouge General Medical Center in Louisiana. Er befasst sich mit Erkrankungen von Nase, Nasennebenhöhlen und der vorderen Schädelbasis. Am 25. Mai veröffentlichte er eine Studie in der medizinischen Fachzeitschrift "JAMA Network Open". Er fand heraus, dass sogenannte "Superschmeckende" – Personen, die übermäßig empfindlich auf einige Bitterstoffe reagieren – seltener positiv auf das Coronavirus getestet wurden.

Barhams-Team untersuchte 1935 Erwachsene, von denen mit Corona infiziert waren. Sogenannte "Nicht-Schmeckende" hatten ein signifikant höheres Risiko, positiv getestet und ins Krankenhaus eingeliefert zu werden sowie länger unter Symptomen zu leiden als normal Schmeckende und Superschmeckende. 86 Prozent der Personen mit einem schweren Verlauf, die einen Krankenhausaufenthalt benötigten, waren Nicht-Schmeckende. Weniger als sechs Prozent der Superschmeckenden wurden positiv auf Covid-19 getestet.

Igitt, Brokkoli!

Superschmeckende, die auf englisch "Supertaster" heißen, reagieren empfindlicher auf bittere Geschmacksrichtungen, weil sie viermal so viele Geschmacksknospen auf der Zunge haben. Bittere Verbindungen in bestimmten Nahrungsmitteln und Getränken werden von Geschmacksrezeptoren des sogenannten Typs 2 erkannt. Für Supertaster schmecken viele Gemüsesorten besonders bitter. Dazu gehören Brokkoli, Kohl und Rosenkohl. Auch der Geruchssinn kann bei Superschmeckenden besser ausgeprägt sein.

Die Psychologin Linda Bartoshuk prägte die Begriffe der Geschmackswahrnehmung in den 90ern. Ihrer Studie zufolge reagierten um die 25 Prozent der Menschen intensiv auf bittere Geschmacksrichtungen – Supertaster. Weitere 25 Prozent der Menschen nehmen bittere Aromen kaum wahr und gehören demnach zu der Gruppe der Nichtschmeckenden. Die restlichen 50 Prozent der Menschen schmecken normal. Sie registrieren die Bitterkeit zwar, finden sie aber nicht unangenehm. 

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Jung und Alt schmecken unterschiedlich gut

Henry Barham zieht noch weitere Schlüsse aus seiner Geschmacksstudie: Nicht nur glaubt er, Superschmeckende seien resistenter gegen Corona als Menschen, denen Brokkoli schmeckt, weil sie ihn als nicht-schmeckende Person nicht zu bitter finden. Er spekuliert auch, dass es auch einen Zusammenhang damit geben könnte, warum Kinder weniger anfällig für Corona seien. Er erklärt gegenüber der National Geographic, dass die Anzahl der Geschmacksrezeptoren mit dem Alter abnehme, was erklären könnte, warum es älteren Infizierten meist schlechter gehe als jüngeren.

Umgekehrt litten die meisten Kinder – bei denen demnach mehr Geschmackszellen vorhanden sind – an weniger schweren Symptomen, wenn sie sich mit Covid-19 infiziert hatten. Barham sagt, die 25 Prozent der Kinder, die als Nicht-Schmeckende nur wenige Geschmacksrezeptoren haben, hätten potenziell auch schwerere Symptome gehabt.

Kritik an der Aussagekraft

David Aronoff, Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten am Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee, zeigte sich überrascht davon, dass Geschmacksrezeptoren auch an der Immunität beteiligt sein könnten. Obwohl er selbst nicht an der Studie mitgewirkt hatte, findet er, es seien sehr interessante Ergebnisse, wie National Geographic berichtet.

Er sehe jedoch auch Einschränkungen. Die relativ kleine Anzahl der untersuchten Erwachsenen läge in einer recht engen Altersspanne, so dass nicht bekannt sei, ob die Korrelation zwischen Geschmackspräferenzen und dem Schweregrad von Covid-19 auch bei Kindern oder älteren Menschen bestehe. Außerdem, sagt er gegenüber National Geographic, könnte sich die untersuchte Population auf unbekannte Weise unterscheiden, was die Ergebnisse beeinflussen könnte.

"Zum jetzigen Zeitpunkt kommen die Ergebnisse der Arbeit zu früh, um uns beim Umgang mit Covid-19 in der Klinik zu helfen", warnt Aronoff. "Aber die Ergebnisse könnten sich auf unser Verständnis darüber auswirken, was Menschen dazu bringt, mehr oder weniger anfällig für Infektionen wie Covid-19 zu sein." Aronoff betont laut National Geographic, dass Supertaster die Schlussfolgerungen der Forschenden nicht überinterpretieren sollten: "Menschen, die Brokkoli hassen, sollten die Impfung nicht vermeiden." 




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Überinterpretation der Studie

Kritik gibt es auch aus den eigenen Reihen: Danielle Reed, stellvertretende Direktorin des Monell Chemical Senses Center in Philadelphia, warnt vor der Überinterpretation der Ergebnisse von Barhams Studie. Reed führte die genetischen Tests der Studie durch, lehnte es aber ab, als Autorin genannt zu werden, da sie die Ergebnisse anders interpretiere.

Die Forscherin weist im Gespräch mit National Geographic daraufhin, dass Barhams Analyse "den allgemeinen Geschmacksverlust, der ein frühes und wesentliches Merkmal von Covid-19 ist, nicht berücksichtigt hat".

Infolgedessen glaube sie, dass einige Patienten "fälschlicherweise als Nicht-Schmeckende kategorisiert wurden". Darüber hinaus wurden die für das Geschmacksvermögen relevanten Gene in einer unabhängigen genomischen Analyse nicht als an der Schwere von Corona-Erkrankungen beteiligt identifiziert. 

Mehr Forschung notwendig

Ein Geschmackstest zur Unterstützung der medizinischen Versorgung sei laut Reed ein Ziel, auf das man hinarbeiten könne. Vorher sei es jedoch wichtig, "das Screening von Geschmack und Geruch zu einem regulären Bestandteil der medizinischen Versorgung zu machen, so wie wir es mit dem Sehen und Hören machen". Aus Erkenntnissen dieser Test könnte man später vielleicht Erkenntnisse gewinnen, wie die Sinne Gesundheit und Krankheit vorhersagen könnten.

Barham stimmt seiner Kollegin zu. Es sei mehr Forschung notwendig, sagt er gegenüber National Geographic. Sein Team werde weiterhin Daten zur Thematik sammeln. Er zeigt sich optimistisch, die Arbeit auf andere Infektionskrankheiten auszuweiten. "Wir untersuchen diese Rezeptorfamilie auch, weil sie die angeborene Immunität gegen Influenza und andere Infektionen der oberen Atemwege beeinflusst."

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