Coronavirus: Wie es nach dem AstraZeneca

Coronavirus: Wie es nach dem AstraZeneca

Um den Corona-Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca kehrt einfach keine Ruhe ein. Seit Mitte März ist bekannt, dass der Impfstoff bei einer bestimmten Personengruppe und in seltenen Fällen zu schweren Nebenwirkungen führen kann. Am Dienstag überarbeitete die Ständige Impfkommission (Stiko) nun ihre Empfehlungen für das Präparat und riet, AstraZeneca nicht mehr bei Menschen unter 60 Jahren einzusetzen.

Die Bundesregierung folgte der Empfehlung. Am Dienstagabend verkündeten Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn, das Präparat solle nur noch bei ab 60-Jährigen verimpft werden.

In Deutschland haben bereits rund 2,8 Millionen Menschen eine Erstimpfung mit dem Vaxzevria genannten Mittel erhalten. Müssen sie sich nun Sorgen machen? Und wie wirkt sich der Stopp auf das Impftempo in Deutschland aus? Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Warum soll AstraZeneca jetzt nicht mehr an Menschen unter 60 Jahren verabreicht werden?

Mitte März waren einige Fälle bekannt geworden, in denen Menschen im zeitlichen Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung an einer Sinusvenenthrombose erkrankt waren. Die Auffälligkeiten wurden vor allem bei jüngeren Frauen gemeldet: Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mittlerweile bei 29 Frauen zwischen 20 und 63 Jahren. Aber auch zwei Männer waren betroffen. Neun Menschen waren an den Folgen der gefährlichen Blutgerinnsel gestorben.


Doch nachdem die Europäische Arzneimittelagentur Ema kurz danach betont hatte, dass der Nutzen der Impfung die möglichen Risiken überwiege und sich für einen uneingeschränkten Einsatz der Vakzine aussprach, wurde in Deutschland zunächst wie geplant weiter geimpft.

Nachdem weitere Fälle von Blutgerinnseln nach einer AstraZeneca-Impfung bekannt wurden, kam nun doch noch der Umschwung: Zuerst im Kreis Euskirchen in Nordrhein-Westfalen, dann in der Berliner Charité, schließlich entschlossen sich ganz Berlin und München, die Impfungen mit AstraZeneca für die potenziell gefährdete Altersgruppe auszusetzen – Männer wie Frauen, sicherheitshalber. Am Dienstagabend kam dann die Entscheidung für die gesamte Bundesrepublik.


Dem Beschluss der Gesundheitsminister zufolge soll AstraZeneca ab dem 31. März bei

  • Personen ab 60 eingesetzt werden. Dafür können die Bundesländer die Gruppe der 60- bis 69-Jährigen in ihre Impfkampagnen einbeziehen.

  • Personen unter 60 eingesetzt werden, wenn sich diese nach individueller Risikoanalyse und nach Absprache mit ihrem Arzt dafür entscheiden.

Was ist über die möglichen Nebenwirkungen bekannt?

Ein geringer Prozentsatz von Geimpften hatte 4 bis 16 Tage nach der Impfung eine sogenannte Sinusvenenthrombose entwickelt. Dabei handelt es sich um Blutgerinnsel in den Hirnvenen, die in schweren Fällen zum Tod führen können.

Forscher der Universitätsmedizin Greifswald haben eine Studie veröffentlicht, die momentan nur als Preprint verfügbar ist, also noch nicht von Fachkollegen geprüft wurde. Sie haben herausgefunden, dass die Blutgerinnsel in vielen Fällen mit einem Mangel an Blutplättchen einhergingen, also einer sogenannten Thrombozytopenie. Als Grundursache für die Thrombosen nannten die Wissenschaftler eine Autoimmunreaktion des Körpers: Im Blut der Betroffenen fanden sie spezielle Antikörper, die sich gegen die körpereigenen Blutplättchen richteten und sie verklumpten.


Die Symptome haben nichts mit den Impfreaktionen zu tun, die einen Tag nach der Impfung auftreten können. Diese sind oft grippeähnliche Beschwerden, die ein positives Zeichen für die Reaktion auf den Impfstoff sind. Wer jedoch nach mehr als drei Tagen noch Beschwerden wie etwa Schwindel, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Übelkeit/Erbrechen, Luftnot oder akute Schmerzen in Brustkorb, Unterleib, Armen oder Beinen verspürt, sollte sofort einen Arzt aufsuchen. Das können mögliche Anzeichen einer Sinusvenenthrombose sein.

Die Probleme, die kurz nach der Impfung auftraten, ähneln einer schon seit Langem bekannten Komplikation bei der Gabe eines anderen Mittels, der Heparin-induzierten Thrombozytopenie, kurz HIT.

Kann man Sinusvenenthrombosen heilen?

Die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung hat auf Basis der Greifswalder Erkenntnisse bereits Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte veröffentlicht. Sie geht davon aus, dass die Gerinnselbildung bei Betroffenen mit einer Sinusvenenthrombose und Thrombozytopenie durch die Gabe von hoch dosierten intravenösen Immunglobulinen gestoppt werden kann.


Weiterhin könnten Gerinnungshemmer eingesetzt werden. Auch Allgemeinmaßnahmen bei Thrombosen sollten demnach voll ausgeschöpft werden. Dazu gehören etwa Bewegungsübungen, Flüssigkeitszufuhr oder eine Kompressionstherapie.

Müssen sich Geimpfte jetzt Sorgen machen?

Alle, deren Impfung mit AstraZeneca schon mehr als zwei Wochen her ist und die keine Beschwerden haben, müssen sich keine Sorgen machen. Die Symptome sind den Angaben zufolge bei den Betroffenen 4 bis 16 Tage nach der Impfung aufgetreten. Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Patienten, die schon mal eine Thrombose hatten oder eine Thrombose-Neigung haben, ein höheres Risiko für diese Komplikationen haben.

Zudem sind die beschriebenen Nebenwirkungen extrem selten. Legt man die aktuell bekannten Zahlen zugrunde, wurden bisher schätzungsweise 1,78 Millionen Frauen unter 70 Jahren mit Vaxzevria geimpft. Bei 29 beobachteten Sinusvenenthrombosen entspricht das einem Risiko von etwa 1:61.400. Jedoch ist bislang weder bekannt, ob alle gemeldeten Sinusvenenthrombosen auf die AstraZeneca-Impfung zurückzuführen sind, noch, ob alle Verdachtsfälle beim PEI gemeldet wurden. Die Zahl ist also nur eine Schätzung.

Was ist jetzt mit den über 60-Jährigen?

Was aktuell für Verwirrung sorgt, ist, dass AstraZeneca bei der Zulassung im Februar zunächst nur für unter 65-Jährige zugelassen war – also genau die Altersgruppe, die jetzt nicht mehr mit dem Impfstoff geimpft werden soll. Der Grund dafür lag aber nicht etwa an der mangelnden Sicherheit, sondern daran, dass der Hersteller nicht ausreichend Daten für die ältere Altersgruppe vorlegen konnte. Diese wurden jedoch nachgereicht und der Impfstoff als sicher und wirksam für alle ab 18 Jahren eingestuft.

Da die beobachteten Nebenwirkungen nun fast ausschließlich bei Jüngeren beobachtet wurden, hat die Stiko die Empfehlungen für die jüngere Altersgruppe geändert. Für die über 60-Jährigen wird der Impfstoff weiterhin uneingeschränkt empfohlen.

Was ist mit denjenigen, die bereits eine Erstimpfung mit AstraZeneca bekommen haben?

Rund 2,8 Millionen Menschen in Deutschland haben bereits eine Erstimpfung mit AstraZeneca erhalten, nur 1998 davon auch eine Zweitimpfung. Das heißt, für die sehr große Mehrheit der Geimpften stellt sich nun die Frage, wie mit der zweiten Dosis zu verfahren ist.

Da die Impfungen mit AstraZeneca Anfang Februar begonnen haben und der zeitliche Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung bis zu zwölf Wochen beträgt, haben die Geimpften jedoch noch eine Weile Zeit für diese Entscheidung: Denn für die Erstgeimpften besteht laut Zulassung noch eine Schutzwirkung bis mindestens Anfang Mai. Die Stiko will bis Ende April eine Empfehlung dazu abgeben.

Grundsätzlich haben die Geimpften laut Beschluss der Gesundheitsminister zwei Optionen:

  • Sie können sich nach individueller Risikoabwägung und in Absprache mit ihrem Impfarzt zum zweiten Mal mit AstraZeneca impfen lassen.

  • Sie warten auf die Stiko-Empfehlung Ende April. Denn möglicherweise kann für die zweite Impfung auch einer der anderen zugelassenen Impfstoffe verwendet werden.

Letztere Option muss jedoch noch geprüft werden. Denn bisher liegen noch nicht ausreichend Daten dafür vor, inwiefern unterschiedliche Impfstoffe miteinander kombiniert werden können. Erste Untersuchungen laufen aber bereits.

»In jedem Fall wird sichergestellt, dass alle Zugang zu einem Impfschema mit in der EU zugelassenen Impfstoffen haben werden, um eine volle Schutzwirkung zu erreichen«, heißt es im Beschluss der Gesundheitsminister. Demnach könnte die Immunisierung auch wieder von vorn beginnen. Wer schon eine Dosis AstraZeneca bekommen hat, könnte dann zusätzlich zweimal mit den mRNA von Biontech und Moderna geimpft werden – oder mit dem ebenfalls zugelassenen Impfstoff von Johnson & Johnson, der nur einmal gespritzt werden muss.

Warum sind die Nebenwirkungen nicht aus Großbritannien bekannt?

Die Impfkampagne in Großbritannien ist vergleichsweise weit fortgeschritten. Rund 29 Millionen Menschen haben dort inzwischen mindestens eine Impfdosis erhalten. Seit Mitte März wird in Großbritannien auch die Altersgruppe ab 50 geimpft. Damit ist das Land sehr viel schneller als die meisten europäischen Länder. Warum haben die dortigen Arzneimittelbehörden keine relevanten Fälle von Sinusvenenthrombosen im Zusammenhang mit der Impfung gemeldet?

Einem Report vom 22. März zufolge wurden in Großbritannien bisher vier Fälle von Sinusvenenthrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung gemeldet. Allerdings geht aus dem Bericht nicht hervor, wie viele Menschen insgesamt mit AstraZeneca geimpft wurden und welches Alter sie hatten. Im Gegensatz zu Europa impft Großbritannien bereits seit Anfang Januar auch die ältere Bevölkerungsgruppe mit der Vakzine. Dort wurden also zunächst Menschen über 80, dann über 70 mit AstraZeneca geimpft. In dieser Altersgruppe sind jedoch bisher auch in Europa keine Fälle der Blutgerinnsel aufgetreten. Möglicherweise sind also die Impfungen mit AstraZeneca in der jüngeren Bevölkerung noch nicht so weit fortgeschritten, dass eine bedenkliche Fallzahl von Nebenwirkungen aufgetreten wäre – oder die Häufung in Deutschland und anderen europäischen Staaten ist nicht auf die Impfung zurückzuführen.

Darauf jedenfalls beharren britische Expertinnen und Experten, die betonen, dass Blutgerinnsel auch durch andere Faktoren oder individuelle Veranlagung hervorgerufen werden können und nur zufällig in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung aufgetreten sein könnten. Auf der Website der britischen Regierung heißt es: »Nach einer Begutachtung von wissenschaftlichen Daten weist die vorhandene Evidenz nicht darauf hin, dass Blutgerinnsel durch den Impfstoff von AstraZeneca hervorgerufen werden.«

Wie wirkt sich der Stopp auf das Impftempo aus?

Genau kann man diese Frage derzeit noch nicht beantworten, denn sie hängt unter anderem davon ab, wie viele Personen unter 60 Jahren sich nun dazu entschließen, sich trotzdem mit AstraZeneca impfen zu lassen. Und ob sich die 2,8 Millionen Erstgeimpften auch für eine Zweitimpfung mit AstraZeneca entscheiden.

Doch unabhängig davon dürfte die Änderung die Impfkampagne nicht drastisch verzögern. In der Gruppe der ab 60-Jährigen, die bisher noch kein pauschales Anrecht auf eine Impfung haben, könnte sich das Impftempo nun sogar beschleunigen: Denn ab sofort dürfen die Länder laut dem Beschluss der Gesundheitsminister nun auch die 60- bis 69-Jährigen in ihre Impfkampagne mit einbeziehen.

Allein diese Bevölkerungsgruppe umfasst mehr als zehn Millionen Menschen und hat häufig Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von Covid-19. Insgesamt sind fast 24 Millionen Einwohner Deutschlands über 60. Wenn also künftig nur diese Menschen mit AstraZeneca geimpft werden, gibt es noch genügend Menschen, die die verfügbare Liefermenge abnehmen – vorausgesetzt, viele entscheiden sich für eine Impfung.

Sollte das Misstrauen in den Impfstoff nun gewachsen sein und die ältere Bevölkerungsgruppe zu großen Teilen auf eine Impfung mit AstraZeneca verzichten, müsste die Impfstrategie umorganisiert und auf die anderen verfügbaren Impfstoffe umgelenkt werden. Der Zeitpunkt, bis zu dem alle Impfwilligen ihre Spritzen bekommen haben, könnte sich um mindestens zwei bis drei Wochen nach hinten verschieben.

Da AstraZeneca bis Ende Juni rund 20 Prozent aller Impfdosen liefert, ist der Großteil der Impfungen gar nicht von der Änderung betroffen.


Es bleibt zu beachten, dass in vielen Impfzentren aufgrund der Änderung nun ein wenig Durcheinander ausgebrochen sein könnte: Personen mit AstraZeneca-Terminen müssen informiert und möglicherweise abgesagt werden. Jüngere, die trotzdem eine Impfung haben wollen, müssen aufgeklärt werden.

Dies könnte auch zu lokalen Verzögerungen führen – die sich jedoch nicht zwangsläufig drastisch auf das allgemeine Impftempo auswirken müssen. Spahn und Merkel bekräftigten am Abend das Ziel, bis Ende des Sommers allen Bürgern ein Impfangebot zu machen.

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